Winfried Mogge

"Wir hingegen in gedachten städtlein

gebohren und gezogen seyn ..."

Auf den Spuren der Juden von Rothenfels am Main

 

Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2015

86 Seiten mit 38 meist farbigen Abbildungen, 8 Statistiken, 3 Stammtafeln

Großformat 27,5 x 19,5 cm, broschiert

ISBN 978-3-8260-5870-7

 

 

Kurztext

 

In der unterfränkischen Kleinstadt Rothenfels am Main gab es schon im Mittelalter eine jüdische Gemeinde, die in unbekannter Zeit unterging. Erst im 17. Jahrhundert siedelten sich in der Stadt, danach in dem zugehörigen Dorf Bergrothenfels Juden erneut an. Deren Geschichte endete vor 1900 wegen Überalterung der Familien und Abwanderung ihrer jungen Mitglieder. Einige Nachkommen sind in Würzburg und Frankfurt am Main – und in nationalsozialistischen Vernichtungslagern nachweisbar.

Die bisher unbekannte Geschichte dieser kleinen fränkischen Landjudengemeinde wird hier aus zahlreichen amtlichen Akten, Korrespondenzen und Protokollen rekonstruiert. Auch die vor Ort fast völlig verwehten Spuren der Juden werden entdeckt: ein schon vor Jahrhunderten aufgelassener Friedhof, die ehemaligen Wohnstätten und die nur noch literarisch überlieferten Gemeindezentren.

So entsteht ein Bild der wechselhaften Geschicke der Rothenfelser und Bergrothenfelser jüdischen Familien, ihres Lebens und Arbeitens als Händler und Bauern. Deutlich wird der lange Weg einer religiösen Minderheit im Wandel der Politik zwischen Vertreibung und Duldung, Ausgrenzung und Emanzipation.

 

 

 

Textprobe

 

 

Prolog

Im März 1749 schreiben Nathan Hirsch und Moyses Berl aus Rothenfels am Main der Hochstiftischen Regierung zu Würzburg einen flehentlichen Brief. Der kurz zuvor verstorbene Fürstbischof Anselm Franz von Ingelheim hatte auf Antrag von Bürgermeister und Rat der Stadt Rothenfels ihre sofortige Ausweisung aus diesem Ort verfügt. Die beiden würzburgischen Schutzjuden haben sich nichts zuschulden kommen lassen; ihr einziges Vergehen besteht darin, dass sie Juden sind und mit landesherrlicher Genehmigung in dem Ort wohnen und in dem umliegenden Landamt ihre Handelsgeschäfte betreiben. Allerdings hat sich mit ihnen die Zahl der traditionell in der Stadt zugelassenen jüdischen Familien von zwei auf vier verdoppelt. Aus Sicht der Ratsherren ist das nun eine unerträgliche Konkurrenz für die alteingesessenen Kaufleute, gar die existenzielle Gefährdung von Handel und Wandel in dem armen Städtlein. Die betroffenen Juden hingegen kämpfen mit Bittschriften um ihr verbrieftes Aufenthaltsrecht. Sie beklagen die ihnen drohende Eliminierung als Vertreibung aus ihrem Lebens- und Arbeitsbereich, und das meint nicht nur den wirtschaftlichen Ruin, sondern auch den Verlust der Heimat: [...] wir hingegen in gedachten städtlein gebohren und gezogen seyn.

 

Erinnerungen und Quellen

Der Vorgang von 1749 ist beispielhaft. Er wiederholt sich mehrmals in Rothenfels und unzählige Male in anderen Orten. Das Beispiel steht für die allzeit gefährdete Existenz einer religiösen Minderheit als ein schrilles Leitmotiv der deutschen Geschichte.

Für zahlreiche Orte und Regionen sind die Schicksale der jüdischen Gemeinden inzwischen dokumentiert und Bestandteil der „Erinnerungskultur“, so auch in Unterfranken und Bayern. Für die Kleinststadt Rothenfels am Main und das seit Jahrhunderten zugehörige Dorf Bergrothenfels wollen die folgenden Seiten ein erster Versuch sein, dieses fast unbekannte und erstmals 1992 auf wenigen Seiten thematisierte Kapitel ihrer Geschichte darzustellen.

Es gab hier eine jüdische Gemeinde bereits im Mittelalter, die in unbekannter Zeit unterging – vertrieben oder umgebracht wurde. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sind dann Juden in der Stadt und dem würzburgischen Amt Rothenfels wieder nachweisbar. Es gab hier wie anderenorts Phasen friedlichen Zusammenlebens von Christen und Juden, überwiegend jedoch Zeiten der misstrauischen Beobachtung und rücksichtslosen Vertreibung der Minderheit durch Nachbarn und Obrigkeiten; die Ausgrenzung der stets nur geduldeten Andersgläubigen war auch nach endlich errungener bürgerlicher Emanzipation im 19. Jahrhundert nicht überwunden.

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Rothenfels und Bergrothenfels endet bereits vor 1900 durch Überalterung und Abwanderung. Die letzte katastrophale Phase im Nationalsozialismus fehlt dank dieser historischen Zufälle an diesem Ort; es besteht kein Grund zu der Annahme, sie hätte hier anders verlaufen können als fast überall. Einige noch indem Mainstädtchen geborene Jüdinnen und Juden sind in Frankfurt am Main nachweisbar; sie wurden 1940 und 1942 deportiert und in Vernichtungslagern umgebracht.

In Rothenfels und Bergrothenfels sind die Spuren des jahrhundertelangen jüdischen Lebens verweht. Es gibt unter den heutigen Bewohnern der Stadt und des Dorfes kaum noch Erinnerungen an diese Minderheit. Ein schmales Gässchen in der Stadt mit der inoffiziellen Bezeichnung Judenwinkel ist den Ältesten noch geläufig. Die Existenz von Synagogen und die Lage einiger Wohnungen ist nach mühsamer Suche aus urkundlichen Nachrichten zu erschließen. Ein ehemaliges Judenbad wurde vor fast 40 Jahren beim Umbau eines Privathauses in Bergrothenfels für kurze Zeit sichtbar. Über den versunkenen Judenkirchhof der mittelalterlichen Gemeinde nördlich der Altstadt von Rothenfels geben spätere Steuerakten und Katasterkarten Auskunft; im Gelände ist nichts mehr davon zu sehen. Einige neuzeitliche Grabsteine für Rothenfelser Juden stehen auf dem jüdischen Verbandsfriedhof Laudenbach bei Karlstadt. Kultgegenstände aus den Betstuben oder aus Wohnhäusern sind derzeit nicht nachweisbar, familiäre Traditionen nicht gewärtig.

In der veröffentlichten Dokumentation der Rothenfelser Stadt- und Dorfgeschichte finden sich einige Textseiten und Quellennachweise über jüdische Familien, ergeben aber kein zusammenhängendes Bild. In der inzwischen reichen Literatur zur Geschichte der Juden in Bayern und Unterfranken und im heutigen Main-Spessart-Kreis ist Rothenfels kaum bekannt und wird meist nur der Mangel an schriftlichen Quellen und realen Zeugnissen festgestellt.

Leider sind die als Geschichtsquelle so wichtigen Amtsprotokolle der in der Burg Rothenfels residierenden fürstbischöflichen Verwaltung bis auf einige Extracte verloren gegangen. Die alten Ratsprotokolle der Stadtverwaltung bieten nur vereinzelte Mitteilungen über die jüdischen Bewohner. Recherchen vor allem in den Staatsarchiven Würzburg und Wertheim und im Stadtarchiv Rothenfels förderten jedoch umfangreiches, bisher nur zum geringen Teil oder überhaupt nicht beachtetes Material zutage. Es sind viele verstreute Informationen vor allem aus amtlichen Korrespondenzen und Protokollen, Gemeinderechnungen und Grundsteuerakten, die sich schließlich zu einem Bild fügen. Die jüdische Gemeinde von Rothenfels und Bergrothenfels bekommt damit Namen und Daten, bekommt ein Gesicht und eine wenn auch bruchstückhaft bleibende Geschichte.

Es ist keine große Gemeinde und keine spektakuläre Geschichte. Während in einigen Dörfern des Landamtes Rothenfels zahlenmäßig beachtliche Gruppen von Juden wohnten, waren es in dem stättlein nur wenige: meist zwei bis vier, selten mehr Familien, ebenso im zugehörigen Dorf auf dem berg, dazu eine wechselnde Zahl von Einzelpersonen. Das bisherige Bild umstürzende neue Aspekte zur Entwicklung der fränkischen Judenschaft sind von Rothenfels nicht zu erwarten, wohl aber einige regionale Differenzierungen und Korrekturen.

So lässt sich beispielhaft zeigen, wie sich die fürstbischöflich-würzburgische, dann königlich-bayerische Religions- und Judenpolitik in einer solchen Randlage in der Provinz umsetzte. Und es tritt die durchaus charakteristische Existenz einiger jüdischer Generationen in einer unterfränkischen Kleinststadt hervor, zu betrachten und zu verstehen vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit und Politik – eine Geschichte, die es vor Ort zu erspüren, aus den Schatzkammern der Archive zu heben, zu rekonstruieren und zu erinnern gilt.

 

(Die Anmerkungen, Quellen- und Literaturnachweise sind in der Textprobe fortgelassen.)

 

 

Hinweise:

 

Eine Online-Ausgabe (2., verbesserte Auflage 2016) findet sich über:

www.synagoge-urspringen.de/veroeffentlichungen

 

Eine Übersichtsdarstellung findet sich in:

www.alemannia-judaica.de/rothenfels_synagoge.htm

 

Kurzfassungen sind veröffentlicht in:

Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst, Bd. 68/2016 S. 289-304

Spessart / Monatszeitschrift für die Kulturlandschaft am Main, Januar 2017, S. 16-21

 

Eine ausführliche Rezension von Roland Flade in:

Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst, Bd. 68/2016 S. 404-406

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